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«Nachgefragt – Dialoge zur Nachhaltigkeit»

Frau Wäckerlin, das Wort «Nachhaltigkeit» hat sich längt von seinem ursprünglichen topos gelöst und geis- tert heute durch sämtliche Bereiche unseres lebens. können Sie als angehende architektin mit dem Begriff noch etwas anfangen? Martina Wäckerlin: Er wird schon ziemlich missbraucht. Aber ich denke, einen besseren Begriff gibt es nicht. Heute muss ja alles nachhaltig sein und gerade weil Nachhaltigkeit auf so vielen verschiedenen Ebenen statt- findet, gibt es keinen Begriff, der absolut passend ist oder alles beinhaltet. Vielleicht verstehen die Leute mit «nachhaltig» noch am ehesten, was gemeint ist; wobei man sicher immer wieder präzise formulieren muss, in welchem Sinn der Begriff gerade verwendet wird. Wie könnte die bis heute geltende Formel für Nachhal- tigkeit «Nicht mehr holz fällen, als nachwächst» auf die architektur oder das Bauwesen übertragen werden? Architektur ist ja an sich schon nicht nachhaltig, da der ganze Gebäudesektor einen so grossen Energiebedarf hat. Für unsere Branche hiesse das ja, alle Materialien, die man braucht, auch wieder zu ersetzen – was gar nicht geht. Deshalb würde ich Städtebauer oder Archi- tekten dazu verpflichten, Gebäude nach ihrem Lebens- zyklus auszurichten: also nicht nur für das Jetzt zu bauen, sondern so, dass sie mehrfach nutzbar sind, ohne abgerissen werden zu müssen. Steht das gebot der Nachhaltigkeit nicht im Wider- spruch zum zeitgeist? anders gefragt: ist der reiz des immer Neuen nicht stärker als jeder Nachhaltigkeits- gedanke? Das ist ein ziemlicher Widerspruch. Gerade in der Schweiz wird für die 2000-Watt-Gesellschaft gewor- ben und sogar dafür abgestimmt, aber wirklich etwas dafür tun will dann doch wieder niemand. Zeitgeist ist eben auch, für Nachhaltigkeit zu sein und trotzdem mit dem ganzen Luxus zu leben. Das geht aber nicht. Alle sprechen von verdichtetem Bauen und Platzsparen, aber keiner möchte Einbussen hinnehmen, schon klar. Nur: Wenn ich die grossen Wohnungen sehe, die vom Platz- bedarf her einfach unverhältnismässig sind, ist das für die Diskussion um Nachhaltigkeit kontraproduktiv. Bleiben bei den Vorschriften zum nachhaltigen Bauen letztlich die kreativität des architekten einerseits und der geschmack des Bauherrn andererseits auf der Stre- cke, weil der individualität grenzen gesetzt sind? Natürlich ist man umso kreativer, je weniger Vorschrif- ten es gibt. Der Architekt aber ist an extrem viele Faktoren gebunden, die den Entwurf stark einschrän- ken. Das kann zwar auch spannend sein, daraus das Beste zu machen. Doch ich habe schon Bedenken, dass irgendwann ein Punkt erreicht sein wird, an dem der Architekt nur mehr ausführende Kraft ist. Wenn ich höre, dass Bauherren immer mehr mitbestimmen wol- len und von Stadt und Land immer neue Bestimmun- gen zum nachhaltigen Bauen kommen, dann kann das schon zulasten der Individualität gehen. Was ging früher, was heute nicht mehr geht? Im letzten Semester hatten wir das Thema Wohnungs- bau. Da hat sich gezeigt, dass es einfach sehr viele Richtlinien gibt, etwa beim Lärmschutz oder der Lüf- tung, die der Gestaltung Grenzen setzen. können Sie ein Beispiel nennen? Wenn ich einen Grundriss zeichne und gewisse schöne Räume machen möchte, sind mir die Hände gebun- den, weil ich zum Beispiel bei der Raumtiefe auf ausrei- chende Belüftung achten muss. hat die tendenz zum nachhaltigen Bauen auswirkun- gen auf die ausbildung von architektinnen und archi- tekten? Im Studium wird uns schon nahegelegt, Minergie-Stan- dards einzubeziehen. Aber das ist eigentlich nur ein Thema am Rande. An der ETH ist der Entwurf extrem wichtig. Allerdings ist die Ausbildung nicht besonders realitätsnah. Es geht vor allem darum, das Auge und die Fähigkeiten im Entwurf zu stärken. Die ganzen Aspekte, die später im Berufsleben dazukommen, auch zur Nachhaltigkeit, sind dann Learning by Doing. Man kann zwar Fächer wie Sustainable Building wählen, aber die werden von Architekten eher spärlich besucht. Das heisst, man wird im Studium gar nicht so richtig mit der Problematik vertraut gemacht und später ins kalte Wasser geschmissen? Man bekommt es schon mit, etwa im Bereich Städte- bau und beim verdichteten Bauen. Unsere Professoren sind ja mittendrin in diesem Diskurs, aber wie man das bereits im Entwurf berücksichtigt, wird nicht ange- schaut. An der ETH lebt man in einer schönen Welt, wo man alles machen kann, und dann kommt man in der harten Realität an und soll plötzlich mit allen Facetten umgehen. Dann immer noch gute Architek- tur zu machen, wird sicher extrem schwierig. Und da werden wohl auch viele in den ersten Berufsjahren zu kämpfen haben. 34 Martina Wäckerlin haben Sie angst, an den Marktregeln zu scheitern? Ich denke nicht, ich bin da ein sehr realitätsbewuss- ter Mensch. Aber ich kann mir vorstellen, dass es beim Übergang ins Berufsleben schon Probleme gibt. Auch wenn man in den Büros erfahrene Leute zur Seite hat, wird es die ersten Jahre sicher eine harte Zeit, bis man sich an die Realität gewöhnt hat. Fürchten Sie, dass der Beruf eines tages keinen Spass mehr machen könnte, weil gerade der gebäudesektor mit seinem hohen Energiebedarf in der kritik steht? Der Beruf macht sicher nicht weniger Spass, aber die Anforderungen steigen. Denn klar ist, dass die vielen Vorschriften und Richtlinien, die in den Entwurf ein- fliessen, den Architekten zum Koordinator dieser Sach- fragen macht – und daher mehr ein Spezialist und weniger ein Generalist gefragt ist. Letztlich kann ich mir vorstellen, dass der gestiegene Anspruch aber auch wieder zu neuen, spannenden Lösungen führen wird. glauben Sie, dass nachhaltige architektur auch sinnlich sein kann? Für mich dient der Begriff eher dazu, das Ganze schön- zureden beziehungsweise ein Image zu polieren. Denn was sinnlich ist, lässt sich besser verkaufen und wird in der Gesellschaft leichter akzeptiert. Weil oft nur auf den ökonomischen Vorteil geschaut wird, finde ich den Anspruch, sinnlich zu bauen, eher hinderlich. Daher bevorzuge ich eine Lösung, die Architektur so zu ver- packen, dass sie für die Allgemeinheit attraktiv ist. Es sollte doch darum gehen, alles, was Einfluss auf die Architektur hat, in einem guten Entwurf zu vereinen. Wenn dieser Entwurf sinnlich ist – umso besser. Wenn Sie an nachhaltiges Bauen in der Schweiz denken, haben Sie da einen Favoriten? Die Europaallee in Zürich ist für mich ein gelungenes Beispiel. inwiefern? Es gibt da nicht so ein Denken, wie häufig in der Schweiz, dass jeder auf seiner Parzelle baut, sondern eine gesamt- heitliche städtebauliche Planung. Obwohl die Entwürfe von unterschiedlichen Architekten stammen, herrscht Konsens über die Ausrichtung dieses innerstädtischen Quartiers: verdichtetes Bauen nach neuesten umwelt- technischen Methoden und eine Mischnutzung, die rund um die Uhr Leben verspricht.

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