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«Nachgefragt – Dialoge zur Nachhaltigkeit»

Herr Cadosch, wie steht der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA, dem Sie als Präsident vor­ sitzen, zum Begriff «nachhaltiges Bauen»? Stefan Cadosch: Wir beim SIA sprechen praktisch nie von nachhaltigem Bauen, sondern von «Effizienz» oder davon, «einen Effizienzpfad einzuschlagen», der richtungs­weisende Massnahmen zum nachhaltigen Bauen beinhaltet. Ich selbst habe mit dem Begriff meine Probleme, weil ihn sich jeder auf die Fahne schreibt und er deshalb total verflacht. Mir erscheinen Ausdrücke wie «Energie­effizienz» und «Suffizienz» geeigneter und umfassender. Auf die Fahne schreiben heisst, das Thema ist in aller Munde und wird entsprechend ernst genommen? Naja, sehr oft wird Nachhaltigkeit auf einen einzelnen Faktor reduziert, zum Beispiel auf die Wärmedämmung. Wer glaubt, ein Gebäude nur einpacken zu müssen, um effizient oder nachhaltig zu sein, blendet oft aus, dass viele Dämmstoffe Erzeugnisse aus Erdölprodukten und entsprechend nicht ohne problematischen Grund­aspekt sind. Mir wäre ein ganzheitlicher Blick auf das Bau- werk lieber. Denn schliesslich geht es um die gesamte Bilanz – von der Planung bis zum letzten Stein, der wieder abgetragen wird. Ist der Gesetzgeber hier stärker gefragt? (lacht) Eine ganz heikle Frage. Ich glaube mehr an ein System der Belohnung, also wenn man etwas Gutes tut und dafür belohnt wird. Schlussendlich schlagen doch weniger Kosten im Unterhalt viel mehr zu Buche als ein Gesetz. Aber scheinbar reicht der Anreiz von Einspa­ rungen und Zuschüssen nicht aus. Um die hochgesteck- ten Ziele zu erreichen, braucht es tatsächlich griffigere Gesetze, um etwa problematische Energieträger mit Strafsteuern zu belegen. Seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima erwägt die Schweiz, an der Vorschrift festzuhalten, Neubauten nur mit Bunkerraum zu genehmigen. Ich glaube nicht, dass das Gesetz überleben wird, auch wenn die Debatte seitdem mit neuem Schwung geführt wird. Das sind doch archaische Mittel. Was hilft es mir, wenn ich im Bunker sitze und rund um mich alles verstrahlt ist. Aber die Diskussion zeigt, dass die ehr- geizigen Pläne zum nachhaltigen Bauen auf tönernen Füssen stehen. Droht das Projekt Energiewende zu scheitern, weil man im Zweifel seine Fahne lieber nach dem Wind hängt? Die Gefahr des Modischen besteht immer. Und dass man sich mit Methoden und Massnahmen zur Nach­ haltigkeit schmückt, ist auch hinlänglich bekannt. Aber ich denke, die Zeit ist eine andere als noch vor 20 Jahren, es wird viel ernsthafter über diese Dinge nachgedacht. Zudem gibt es heute die Mittel und Wege, mit den Forderungen gestalterisch gut umzugehen. Es ist kein Kraftakt mehr, nachhaltig zu bauen – siehe das Wohn- und Geschäftshaus an der Zürcher Badenerstrasse. Steht vor lauter Regulierung am Ende gar der Verlust des individuellen Baustils? Das ist ein fortwährender Kampf an allen Fronten: Brandschutz, Arbeitssicherheit usw. Die Kreativität steht immer auf dem Prüfstand. Ich glaube, dass trotz aller Regulierungswut genügend Schlupflöcher bleiben, um sich kreativ auszuleben. Erst kommen die Vorschriften, die einengen, dann bringt die technische Entwicklung neue Möglichkeiten mit sich. Wer weiss schon, ob es eines Tages reicht, nur noch zwei statt 35 Zentimeter zu dämmen – bei gleicher Leistung wohlgemerkt. Oder das Schöne steht plötzlich im Vordergrund, wäh- rend sich das Zweckmässige kaschieren lässt. Oder das weniger Schöne bekommt plötzlich schöne Qualitäten durch technische Aufrüstung. Wie meinen Sie das? Man muss nur die ästhetische Qualität als Produkt­ eigenschaft wahrnehmen. Beispiel EPS, ein Dämmstoff, der aus Gründen besserer Dämmwerte heute mit Grafit bestückt wird. Dieses Anthrazitgrau hat durch- aus optische Vorzüge. Warum sollte man es nicht zeigen, also nach aussen bringen und allenfalls noch mit etwas Semitransparentem gegen die Witterung schützen? Also steht nicht irgendwann die Ästhetik unserer Orte auf der Kippe? Nein, man darf nur nicht aufhören, zu denken. Es gibt genügend Bauwerke, die das Gegenteil beweisen. Zu­­ mal sich der Mensch nicht wohlfühlt, wenn seine Umgebung nicht gewisse ästhetische Grundwerte auf- weist. Wenn unsere Städte im Einheitsbrei zu versinken drohen, setzen Gegenbewegungen ein. Ein Brutalimus, wie er beispielsweise in den Sechziger- und Siebziger- jahren geherrscht hat, kann heute sehr viel weniger wuchern. Was stimmt Sie so zuversichtlich? Denken Sie nur an die Siedlung Göhnerswil in Adlikon, wo die grossen Wohnsilos mit guten Mitteln wohnli- cher gestaltet wurden. Und ich meine jetzt nicht nur Farbigkeit oder Materialschlachten. Da geht es um Kin- derspielplätze, um Rückzugsnischen, Grünräume und auch Bepflanzungen; also um weit mehr als Architektur. Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Einer der Gründe ist, dass sehr oft das Erdgeschoss «vergessen» ging. Niemand wollte bei Durchgängen und öffentlichen Plätzen wohnen, aber auch für Klein­ gewerbe, Cafés und Kindergärten wurden zu wenig gute Alternativen geschaffen. Ein Frisörsalon, ein kleines Restaurant könnten in so einer vertrackten Situation Wunder wirken. Es braucht allerdings auch gescheite Fördermassnahmen, etwa in Form einer symbolischen Miete. Wohlfühlen als Nachhaltigkeitsfaktor. Etwas vom Nachhaltigsten, was man machen kann, ist, eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Wenn der Mensch sich nicht mit seiner Umgebung identifiziert, wird er nirgendwo eine Blume pflanzen oder eine Wand streichen. Das können Sie übrigens bei Sprayern beob- achten, die ein vertrautes Umfeld zumeist meiden. Für die sind nur die Grauzonen zwischen gemütlich und brutal interessant, wo sie mit ihren Werken auf die Schroffheit hinweisen. Was lief schief in den Nachkriegsjahren? Ich will diese Zeit nicht verunglimpfen.. Die vielen Tau- send Wohnungen etwa, die in Deutschland nach dem Krieg in kürzester Zeit gebaut werden mussten, aber auch der wachsende Druck auf die meisten Städte durch massive Zuzüge vom Land, führten zu gewaltigen Herausforderungen – das war schon eine Herkulesleis- tung. Aber lange ging es vor allem um renditeorientier- tes Bauen. Zu viele Leute auf zu wenig Raum, mono- tone Repetition waren die Folgen. Das Atmosphärische ging dabei oft unter. Begründung: zu teuer. Es entstan- den serielle Wohnungen mit viel zu kleinen Bädern und Küchen. Und Fassaden mit sich ständig wiederholenden Einheitselementen. Das Problem in der Stadt ist dagegen zu wenig bezahl- barer Wohnraum. Was bedeutet Nachhaltigkeit im Urbanen? Das ist die spannende Diskussion über Suffizienz. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, was wir effek- tiv brauchen und was nicht. Interessanterweise wollen fast alle im innerstädtischen Raum wohnen, sogar in 10 Stefan Cadosch

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