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«Nachgefragt – Dialoge zur Nachhaltigkeit»

Frau Gloor, nachhaltiges Bauen ist in aller Munde. Wie gehen Sie als Architektin mit dem Begriff um? Vera Gloor: Es ist mittlerweile viel darüber gesagt und geschrieben und auch reglementiert worden, in welche Richtung sich das Bauen entwickeln soll. Neben den ökologischen Aspekten kommen mir die sozialen und wirtschaftlichen Komponenten aber leider zu kurz. Was genau meinen Sie? Wir müssen unter Berücksichtigung veränderter Bevöl- kerungsstrukturen Wohnkonzepte entwickeln, die den neuen Formen des Zusammenlebens Rechnung tra- gen. Ich bin vor allem im Stadtzentrum tätig. Dort ist es sehr wichtig, dass wir die Vielfalt der Bewohner auf- rechterhalten. Es gibt ja den Modebegriff der Gentrifi- zierung – das ist eine der grössten Herausforderungen für uns Architekten, der Segregation entgegenzuwirken. Wie wollen Sie das erreichen? Zunächst muss man sich bewusst machen, dass wir es nicht mehr nur mit Kleinfamilien zu tun Mitarbeitende sondern mit unterschiedlichen Familienbildungen, die nicht mit einem Typ Wohnung befriedigt werden können. Das heisst, wir müssen wandelbare Struktu- ren schaffen, die neuartigeWohnmodelle ermöglichen. Gleichzeitig müssen diese Strukturen für verschiedene Einkommensstufen funktionieren; auch für Leute, die nicht so viel verdienen, aber trotzdem im Zentrum woh- nen möchten. Hört sich ein bisschen nach der Quadratur des Krei- ses an. Es ist an der Zeit, sich von der Denkweise des konven- tionellen Wohnungsbaus zu lösen. Die Frage ist doch: Wie kann ich ein Gebäude bauen, das sich über Gene­ rationen für verschiedene Konzepte eignet? Ist Bauen nicht immer auch ein Spiegel unserer Zeit? Oder gibt es eine universelle Bausprache, die sämtli- chen Ansprüchen genügt? Nein, wenn es universell ist, beginnt es, sich zu stark zu neutralisieren. Jedes Projekt muss sehr individuell, sehr lokal sein. Und in einem gewissen Sinn auch temporal. Wie passen temporale und langfristige Nutzung, von der Sie eben gesprochen haben, zusammen? Ich bin mir bewusst, dass sich das widerspricht. Aber sonst würden sich die Bewohner nicht mit dem Gebäude identifizieren. Es gibt nicht den idealen, neu- tralen Grundriss, der für alle Nutzungen geeignet ist. Damit sich eine städtische Struktur sinnvoll entwickelt, vor allem im Bestand, ist es wichtig, ein Gebäude so zu interpretieren, dass es für die Nutzer als Identifikati- onsort funktioniert. Das ist genau die Spannung: So zu bauen, dass sich die Bewohner hier und jetzt zu Hause fühlen, das Gebäude in 30 Jahren aber immer noch als attraktiv gilt. Eine möglichst intensive Nutzung der Immobilie also, die den Ressourcenverbrauch beim Bau durch einen langen Lebenszyklus rechtfertigt. Das ist der Grund, weshalb wir uns intensiv mit verschiedenen Wohnmodellen wie Clusterwohnungen befassen. Clusterwohnungen? Gemeint ist ein Zusammenschluss von Kleinwohnun- gen zu einer grösseren Wohnung. Das Entscheidende: Man überlagert die Gemeinschaftsfläche. Jeder hat seinen Individualbereich mit Nasszelle. Bei manchen Modellen gibt es auch eine individuelle Kleinküche. Alle teilen einen grossen Gemeinschaftsraum mit einer grosszügigen Küche und einem Wohn- und Essbereich. Sich zurückziehen und verwirklichen, aber trotzdem in Gemeinschaft zu leben – damit erreiche ich eine Verdichtung, die gerade in der Schweiz ein zentrales Thema ist. Heisst Verdichtung hier nicht Einengung? Man hat immer Angst, dass es zu eng oder dicht wird. Indem wir zum Beispiel bei unserem Projekt in der Neufrankengasse in Zürich den Wohnraum von fünf Personen zusammenlegen, hat man das Gefühl, in einer sehr grosszügigen Wohnung zu leben. Letztlich brauche ich viel weniger Quadratmeter, als wenn jeder seine individuelle Wohnung hätte. Was ist an diesem Wohnungstypus nachhaltig? Die Struktur des Gebäudes ist so aufgebaut, dass sie im Generationenzyklus anders interpretiert werden kann. Innerhalb des Rohbaus können wir mittelfristig auf verschiedene Entwicklungen des Wohnungsmark- tes reagieren, etwa, wenn wieder grössere Wohnungs­ einheiten gefragt sind. Das ist sehr bautechnisch und hat viel mit der intelligenten Anordnung von Haustech- nik und Leitungsführung zu tun. Schrecken der höhere Planungsaufwand und mithin höhere Kosten Bauherren oder Investoren nicht ab? Das trifft keineswegs zu. Die Frage ist, wo der Entwurf ansetzt: Werden interessante Wohnungen geplant, die sich nur aufwendig realisieren lassen, oder wird zuerst eine Baustruktur entwickelt, die kreativ bespielt wer- den kann? Und da kommt die Nachhaltigkeit ins Spiel. Wenn ich etwas baue, das in 30 Jahren nicht mehr dem Bedürfnis der Bewohner entspricht, kann ich es nur abreissen und muss neu bauen. Strukturiere ich sinn- voll, kann ich das über Generationen immer wieder neu interpretieren. Langfristige Strukturen sind deshalb für Investoren hochinteressant. Trotzdem: Bleiben bei einem Grundraster nicht Ästhetik und Geschmack auf der Strecke? Ich glaube nicht. Mein kreativer Anspruch ist es, in einem sinnvollen Raster auch ästhetisch hochwer- tige Wohnungen zu realisieren. Ausserdem: Wenn ein Gebäude klug konzipiert ist, fliesst weniger Geld in die Bautechnik. Die Folge sind mehr Freiräume bei der Aus- gestaltung der Wohnungen; bei dem, was die Bewohner später unmittelbar erleben. Wenn Wohngemeinschaften so etwas wie ein Allheil- mittel sind – warum ist Ihre Arbeit dann nicht unum- stritten? Werden Sie verkannt? Clusterwohnungen sind vielleicht nicht der Massen- trend (lacht). Sicher müssen wir noch Überzeugungs­ arbeit leisten, welche Qualitäten in einem gemein- schaftlichen Wohnen oder langfristigen Baukonzept liegen. Um wirklich nachhaltig zu bauen und der Gen- trifizierung entgegenzuwirken braucht es ein Umden- ken. Die Gesellschaft muss lernen zu teilen. Teilen ist ein Gewinn, kein Verlust. Gemeinschaft ist ein Gewinn, keine Be­drohung. Wenn jeder meint, ihm müsse alles gehören, kommen wir nicht weiter. Gerade zur fort- schreitenden Individualisierung, und damit auch Ver- einsamung, kann das Gemeinschaftliche ein Gegen- entwurf sein. Wir müssen uns als Architekten einfach herauszoomen und die grösseren Zusammenhänge sehen. Denn letztlich bauen wir keine Baukunstwerke, sondern Lebensräume. Heisst das, nachhaltige Architektur ist praktisch, aber nicht mehr sinnlich? Warum nicht? Bei der heutigen Tendenz zum virtuel- len Dasein ist das haptische Element wichtiger denn je. Architektur muss sinnlich sein. Wir sprechen von dynamischer Raumwahrnehmung. Also statt in Zel- len zu denken, schaffen wir räumliche Durchblicke und fangen Stimmungen ein. Das ist übrigens auch ein Aspekt der Nachhaltigkeit: Nicht nur die Baustruktur 18 Vera Gloor

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