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«Nachgefragt – Dialoge zur Nachhaltigkeit»

Herr Dr. Hausmann, können Sie mit dem Begriff «Nach- haltigkeit» noch etwas anfangen, oder erscheint Ihnen ein anderes Wort zeitgemässer? Dr. Urs Hausmann: Der Begriff ist sekundär, ich würde ihn auch weiterhin gebrauchen. Die Debatte um die Namensgebung muss man deswegen nicht korrigieren. Ein anderer Begriff oder ein anderes Konzept, das letzt- lich dasselbe beinhaltet, dürfte dasselbe Schicksal erlei- den. Ziel muss sein, dass sich die Leute trotz des infla- tionären Gebrauchs des Begriffs weiter aktiv mit dem Gedankengut des nachhaltigen Bauens auseinander­ setzen. Letztlich ist es eine Bewusstseinsfrage. Wie erklären Sie sich, dass die Schweiz eine Vorreiterrolle beim Thema nachhaltiges Bauen einnimmt? Ihre Frage impliziert, dass in unserem Land auch nachhal- tig gebaut wird. Da bin ich mir nicht so sicher. Auf den ersten Blick sieht es so aus, auf den zweiten ist es eine Frage des Zeithorizonts... ...vielleicht auch eher ein Luxusphänomen, das mit dem Wohlstand steht oder fällt? Ich glaube nicht, dass man auf gewisse Sachen, die man als sinnvoll erachtet, verzichtet, nur weil sie zu teuer sind. Gerade durch staatlichen Druck können auch Innovatio- nen entstehen. Viele Dinge wollte man zuerst nicht, bis man festgestellt hat, dass daraus neue Branchen ent- standen sind, wettbewerbsfähige Unternehmen. Früher oder später kommen auch andere Länder in die Situation, und dann kann man mit dem Know-how, das man gene- riert hat, Geld verdienen. Nachhaltiges Bauen ist kein Wohlstandstrend, sondern eine Wertefrage, wie man mit der Umwelt und den Ressourcen umgehen will. Bauherren setzen gerne aus ökonomischem Kalkül oder Prestige auf Labels. Wie würden Sie trotz höherer Inves- titionskosten und mancher Unwägbarkeiten für nach- haltiges Bauen werben? Nachhaltigkeit ist ein Trial-and-Error-Verfahren. Die Dis- kussion wird meines Erachtens zu stark auf Dinge fokus- siert, die ich als Bauherr beeinflussen kann, zum Beispiel die Wahl der Materialien oder des Heizsystems. Was zu wenig berücksichtigt wird, ist, wie sich der Nutzer spä- ter verhält, da hat der Eigentümer oder Bauherr fast kei- nen Einfluss mehr; wenn nämlich das Haus verkauft wird. Und schliesslich: Wo steht das Haus? Unter baulicher Nachhaltigkeit wird fast nur Bauen im physischen Sinn verstanden. Ein ganz bekanntes Haus, das auch gebaut wurde, ist die Neue Monte-Rosa-Hütte auf fast 3000 Meter Höhe ... ... die übrigens von einem anderen Teilnehmer hier aus- drücklich gelobt wurde... Für mich ist das der Inbegriff eines nicht nachhaltigen Hauses. Warum dieser immense Aufwand, um an einen so unwirtlichen Ort zu kommen? Schon korrekt, es geht um Tourismus, aber es ist eine törichte Ansicht von nach- haltigem Bauen. Die beste Art, nachhaltig zu bauen, ist, gar nicht zu bauen. Der ETH als Initiatorin des Gebäudes dient es als Forschungsobjekt für umweltfreundliche Energie- und Haustechnik. Mag sein, aber was in der Diskussion viel zu wenig beach- tet wird, ist der Verbrauch von Bauland, das gerade in der Schweiz eine knappe Ressource ist. Wenn Sie mich fragen, heisst nachhaltiges Bauen auch, ein Stück Land maximal auszunutzen. Und zwar so, dass es sich ökono- misch noch rechnet. Es gibt viele Orte, da lohnt es sich nicht, ein Haus zu bauen, weil kein Nutzer bereit wäre, eine hinreichende Miete zu zahlen. Nachhaltigkeit heisst also auch, den richtigen Standort für mehrere Generatio- nen auszuwählen. Nachhaltigkeit heisst, vorausschauend und langfristig zu planen. Der Zeitgeist dagegen sehnt sich nach stetigem Wandel. Wie lässt sich dieser Widerspruch lösen? Ich sehe darin keinen Widerspruch. Konservieren wäre für das Konzept der Nachhaltigkeit tödlich; wenn man nicht mehr forscht und sagt: So, jetzt wissen wir, wie es geht, weiter machen wir nicht. Der Reiz des Neuen, das Experimentieren sind der Motor, der uns weiterbringt und die Nachhaltigkeit immer wieder neu erfindet. Auch wenn der Grundgedanke banal ist – spannend ist, wie man das Ziel erreicht. In der Mode gibt es alle paar Monate neue Farben und Materialien, darüber hat sich die Kleider­qualität insgesamt geändert. Denken Sie nur an die Funktionskleidung im Sport. Oder die Lebensmit- tel. Unsere Ernährung heute dürfte besser sein und die Lebenserwartung positiv beeinflussen. Da hat es immer wieder Innovationen gegeben. Keiner hat gesagt: So wird es gemacht,und so muss es bleiben. Aber bewirken strengere Vorschriften und neue Richt­ linien beim Bauen nicht genau das Gegenteil, also mehr Eintönigkeit und weniger Innovationskraft? Das ist eine grosse Debatte, die Sie da ansprechen. Das Schweizer Baugesetz lässt wenig Spielraum zu, da ist vieles vorhersehbar. Ich hoffe trotzdem, dass noch Kre- ativität möglich ist und sogar gerade deshalb der Denk- prozess angestachelt wird, nach kreativen Lösungen zu suchen. Also setzen Sie auf mehr Deregulierung? Zumindest habe ich Probleme damit, dass gewisse Standards vorgeschrieben werden. Das ist quasi eine Punktaufnahme vom Haus. Aber ob und wie nachhaltig gelebt wird, da gibt es keine Vorschriften – zum Glück, wie ich betonen möchte. Was ist dann das Problem? Die Fixierung auf Gesetze. Sachen, die man vor 20, 30 Jahren gesagt hat, wirken aus heutiger Sicht überlebt. Die Gefahr von Normen ist doch, dass sie potenzielle Fehlentwicklungen gesetzlich zementieren und manch- mal über Generationen bestehen bleiben. Idealerweise müsste jeder für sich überlegen, was für ihn das Beste ist. Muss man Bauherren und Eigentümer zu ihrem Glück zwingen? Die Menschen müssen sich wohlfühlen in den Gebäu- den, das wird zu wenig berücksichtigt. Stattdessen wer- den immer neue Forderungen erhoben, ob sinnvoll oder nicht. Laut einer Initiative sollen nun Häuser mehr Ener- gie produzieren, als sie konsumieren. Das ist für mich so, als ob Sie sagen: Jeder muss sein eigenes Brot backen – das ist überhaupt nicht effizient! Am Schluss muss nicht ein Gebäude nachhaltig sein, die Volkswirtschaft muss nachhaltig sein, das ganze Land oder der ganze Kontinent. Sie bemängeln eine fehlende Strategie? Sie sagen es. Aber das ist nicht allein ein Problem in der Schweiz. Alles ist sehr zufällig. Vieles macht man seit Generationen, ohne es ernsthaft zu hinterfragen. Und wenn man fragt, warum das so ist, heisst es: Das haben wir schon immer so gemacht. Nachhaltiges Bauen hat viel mit konzeptionellen und intellektuellen Fragestel- lungen zu tun. 22 Dr. Urs Hausmann

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